28. Juli 2015

Mariazell anno 1995

Genau 20 Jahre ist es her, als wir für gut zwei Wochen in die Steiermark fuhren, daselbst den Hochschwab durchwanderten, die benachbarte Hohe Veitsch bestiegen und anschliessend per Autostopp von Mürzsteg nach Mariazell trampten. Der Ort gilt als eine der wichtigsten Wallfahrtsdestinationen in Österreich. Doch die Belange des Katholischen waren fern unserer Motivation, dieses Mariazell aufzusuchen. Eine schnuckelige Schmalspurbahn war es, die mich damals schon seit Jahren faszinierte und gleichsam meine Modelleisenbahnvitrine zierte: die Mariazellerbahn. Und weil in den Neunzigerjahren bereits die Rede davon war, die 91,3 Kilometer lange Strecke nach St. Pölten zumindest teilweise stillzulegen, wollte ich der 760 mm Spurweite noch vor ihrem Abserbeln einen Besuch abstatten.

Zwei Maschinen der Baureihe 1099 am 28. Juli 1995 sind in Mariazell (A) abfahrbereit nach St. Pölten.


In der Zwischenzeit hat die einst zum Streckennetz der Österreichischen Bundesbahnen gehörende Linie den Besitzer gewechselt und befährt erfreulicherweise nach wie vor die gesamte Streckenlänge. Neulich kramte ich die Kodachrome-Dias dieser Wanderreise hervor, warf den Dia-Scanner an und stellte eine kleine Bildstrecke zusammen. Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass die mit einer sauteuren Rollei 35 geschossenen Fotos immer noch einwandfrei erhalten geblieben sind und die Bildqualität trotz der Kleinheit der Kamera erstaunlich gut ist.

26. Juli 2015

Dreimal über die Alpen

Achill und Aaron Moser: Über die Alpen
nach Italien,
Hoffmann und Campe,
Hamburg, 2011
Gleich doppelt empfehlenswert ist das, was Achill und Aaron Moser 2009 gemeinsam unternommen und wenig später in Buchform herausgebracht haben. Während 75 Tagen wandert Vater Achill mit seinem 18-jährigen Sohn Aaron von München über die Alpen nach Verona und von dort weiter via Genua–Bagni di Lucca nach Florenz. Sie folgen dabei der Route Heinrich Heines, der die Reise 1828 mit der Postkutsche unternahm und darüber in Buchform berichtete. In Mosers Reisebericht kommen deshalb alle drei Protagonisten zu Worte: Heine als polarisierender Literat, Achill als Autor und Fährtenleser Heines Werks sowie Aaron, der kurz vor dem Abmarsch das Abitur schaffte und vor einer noch ungewissen beruflichen Zukunft steht.

Dieses Dreiergespann macht Über die Alpen nach Italien zum kurzweiligen und intelligent geschriebenen Reisebericht. Da sind einmal die persönlichen Eindrücke der drei Männer, dann die Hintergrundinformationen zu Heine sowie die Vater-Sohn-Beziehung von Achill zu Aaron. Was geht ab, wenn zwei Generationen etwas scheinbar Banales wie eine Wanderung von 1500 Kilometern und dazu noch mit Zelt unternehmen? Die beiden aus Hamburg stammenden Fernwanderer beantworten die Frage anekdotisch-subtil und ohne grossen Seelenstriptease. Das reich bebilderte Buch macht nicht nur Lust, den Dichter Heine neu zu entdecken – oder überhaupt zu entdecken –, es liefert auch viele Informationen zu Land und Leuten entlang der Route. Fazit: Buch kaufen und lesen! Vätern sei eine gemeinsame Wanderung mit Sohn oder Tochter ans Herz gelegt. Die Strecke muss ja nicht gleich 1500 Kilometer lang sein.

24. Juli 2015

Neulich in 8767


Elm (GL). Da hatten die Elmer das Geschenk: Das Schweizer Fernsehen machte diese Woche mit seiner Sendung Donnschtig Jass dem kleinen Ort im Bannkreis des Martinslochs seine Aufwartung. Der Vorplatz des ehemaligen Bahnhofs diente hierbei als temporäres Jassstudio. Ich war erstaunt über den Zirkus, der da aufgebaut wurde. Selbst die Dorfstrasse blieb während vier Tagen gesperrt. Das dahinterliegende Ortszentrum war bei meinem Durchmarsch deshalb wie ausgestorben. Im nahen Volg zeigte sich die Verkäuferin nicht wirklich erfreut über das Treiben der Jass-Roadies. Henu, für ein etwas skurriles Stilleben hat es dennoch gereicht.

22. Juli 2015

Auf dem Weg der Schweizergarde

Guido Schildknecht: Zu Fuss nach Rom,
Eigenverlag, 2012
Die Via Francigena, der Frankenweg, gehörte zu den drei wichtigsten Pilgerrouten im Mittelalter. Die Buss- und Bittgänge nach Rom begannen im 4. Jahrhundert, als die ersten Pilger das Grab des Apostels Petrus aufsuchten. Bis ins 14. Jahrhundert war der Frankenweg, der von Canterbury nach Rom führt, eine der bedeutendsten Verbindungen zwischen dem Norden Europas und dem Mittelmeerraum. (Klappentext)

Guido Schildknecht, ein 1941 geborener und in Mörschwil (SG) wohnhafter Landwirt, ging den Weg, folgte jedoch der historischen Route der Schweizergarde, die seit 1506 den Vatikan und insbesondere den aktuellen Machthaber «bis zum Einsatz des Lebens» beschützen. Ein von der Eidgenossenschaft bis heute mit einem gewissen Stolz abgesegnetes Reisläufertum. Aus Anlass des 500-Jahre-Jubiläums der päpstlichen Garde zogen ehemalige Gardisten zu Fuss von Bellinzona nach Rom. Schildknecht erzählt in seinem Bericht über die unzähligen Erlebnisse entlang des Weges, aber auch über seine Weltanschauung und das Verhältnis zur katholischen Kirche und seine CEOs.

20. Juli 2015

Schwarzwasser

Nein, es geht nicht um Kaffeelogie. Es geht um den Schwarzwassergraben im Schwarzenburgerland, dem ich vergangenen Samstag eine pedestrische Aufwartung machte. Von der Wislisau folgte ich dem Fluss für ein paar hundert Meter auf dem Wanderweg, ehe ich zum Wasser hinab stieg und mich sodann im Flussbett durch den Graben schlug. Eine Wildniserfahrung erster Güte, nur wenige Kilometer von meinem Zuhause entfernt!

Der Schwarzwassergraben (BE). Gepunktet meine Route auf Wegen. Die Wislisau liegt im
Süden (Punkt 714), die Schwarzwasserbrücke im Norden. Karte 1:100 000 von swisstopo

Wenn immer möglich ging ich auf den Kies- und Schotterflächen. Weil der Fluss stark mäandert, musste ich etliche Male die Seite wechseln. Wegen der Trockenheit der letzten Wochen ein Kinderspiel. Die Wassertiefe war maximal knietief, die Wassertemperatur sehr angenehm. Was mich am meisten beeindruckte, war die Mächtigkeit der Schwarzwasser nach Starkniederschlägen. Aus dem gemächlich dahin fliessenden Gewässer von bescheidener Breite wird ein reissendes Ungeheuer, das im Stande ist, den Graben komplett umzugestalten und alles mit zu reissen, was sich ihm in den Weg stellt. Die Begehung dieser Auenlandschaft von nationaler Bedeutung erfordert deshalb eine genaue Beachtung der Wettervorhersage und des aktuellen Wasserstandes. Plötzlich auftretende Starkgewitter im Gurnigelgebiet lassen den Pegelstand auch kurzfristig rapide ansteigen. Fotografische Eindrücke der Tour von der Wislisau zur Schwarzwasserbrücke gibt es hier

17. Juli 2015

Nepal-Trekking im Alleingang

John Pilkington, Am Fuss des Himalaja,
Frederking & Thaler Verlag, München,
2000, vergriffen
Der Engländer John Pilkington wanderte 1982/83 durch Westnepal und schrieb darüber ein lehrreiches und zugleich amüsantes Buch. Pilkington hatte das Glück, dieses Gebiet noch vor den grossen Trekkermassen der letzten 15–20 Jahre begehen zu können, obschon sich diese zu Beginn der Wanderung bemerkbar machten. Im Gegensatz zu den meisten Zeitgenossen, die Nepal lediglich einen kurzen Besuch abstatten, hat sich unser Autor viel Zeit genommen. Er nahm sogar Sprachunterricht, machte sich mit der nepalesischen Kultur vertraut und absolvierte eine Probetour, bevor es richtig los ging. Entstanden ist in der Folge ein Buch, das sich an den kulturellen und geografischen Gegebenheiten orientiert. Alles in allem ein Must für alle Nepalbegeisterten.

15. Juli 2015

Andrea

Konrad Pauli: Andrea, Edition Hans Erpf,
Bern/München, 1991, vergriffen
Noch hat das Leben einen Vorsprung – der Gedanke ist Feststellung, aber ebenso Signal, Aufruf und Lebensspender zum Weitermachen, selbst dann, wenn die Ich-Figur tage- und wochenlang nichts anderes vermeint als auf der Stelle zu treten. Die namenlose Ich-Figur wohnt nach der Auflösung seiner Ehe in der Nähe einer Militärkaserne, deren parkähnliche Umgegend ihm Auslauf gibt zu Spaziergängen. Im Zustand des Ausgestossenseins brennt Schmerz, aber auch die jähe Gier nach Aufbruch und die Sehnsucht nach neuen Verstrickungen. Die Ich-Figur strampelt im chaotischen Verhau, der Leben heisst, weicht aber einer Analyse der zu Ende gegangenen Ehe aus – seine Anläufe sind zu verstehen als Reaktionen, als Notwehr und als das Verlangen, das entstandene Vakuum mit neuen Lebensstoffen zu füllen. 

Sosehr die Ich-Figur getrieben wird von Assoziationen, sosehr behalten die schweifenden Bilder und Gedanken den Bezug zum Thema: den Wunden, die das Leben schlägt. Wie ein roter Faden durchzieht die Geschichte mit Andrea das Geschehen, das sich zwischen Verlorensein und aufflackernder Geborgenheit bis zum vorläufigen ende staunend die Einsicht zu erhalten vermag, das Lebe habe immer noch einen Vorsprung. (Klappentext)

BE: Stadt Bern F: Normandie D: München, Mannheim

13. Juli 2015

Hochsommer am Wasser



Ein Fluss verlässt das Hügelland, in dem er geboren wird und hält Kurs auf die Stadt. Doch statt die Metropole zu entzweien, schwenkt er ab, folgt dem bewaldeten Berg und zieht an der Agglomeration vorbei. Die Hitze drückt. Menschen suchen Abkühlung, Erholung, Natur. Die besten Plätze sind morgens schon belegt. Dies- und jenseits der Töss hat man sich eingerichtet: Liegestühle, Sonnenschirme, Badetücher, klappbare Sitze und Sessel, Gummiboote, Strandzelte, Grille in allen Grössen, Musikgeräte hüben wie drüben. Vom diskreten Transistorradio über kabellose Lautsprecher bis zu rollbaren Boxen, kombiniert zu Anlagen mit mehreren hundert Watt Leistung. Steriler Computersound mit dumpfem Bass überdröhnt das Plätschern des Flusses. Abfallkübel überquellen. Um die Körbe herum wächst der Konsummüll. Das Tössufer ist meine Wohnung, was kümmert mich der Nachbar?



Unermüdlich strömt das glasklare Wasser rheinwärts. Kinder schreien vergnügt, Hunde bellen freudig. Hochsommer am Wasser. Die Sonne brennt. Es riecht nach Bratwurst, nach Cervelat und Kottelette. Ein paar junge Männer staksen mit ihren Angelruten im Ufergrün umher. Ob sie im seichten Wasser etwas an den Haken holen? Bei den Schwellen würden die Chancen besser stehen, doch dort liegen und sitzen bereits Badende und kühlen sich. Und ich stelle mir vor, wie eng es in den Schwimmbädern derzeit zu- und hergehen muss.


11. Juli 2015

Die Belohnung

Vergangenen Samstag, 35 Grad Celsius, im Schatten. Brutale Hitze, die mich nicht davon abhielt, in die Zentralschweiz zu reisen und von Seelisberg aus den Niderbauen Chulm zu besteigen. Die Route führte mich vom Seeli über mitunter moorige Geländeterrassen zur wunderhübsch gelegenen Alp Weid. Hier hätte ich mir grussfreudigere Älpler gewünscht, doch wie wir alle wissen grüsst nicht jeder mit Inbrunst. Mag sein, dass ich den brummelnden Bartli bloss akustisch nicht vernommen habe. Möglich auch, dass er infolge Nackenstarre das Haupt nicht schwenken konnte.

Getoppt wurde die Weid'sche Lage indes von jener der Alp Lauweli. Dürfte ich mir ein Alpwesen zum Bewirtschaften aussuchen, das Lauweli wäre ein heisser Anwärter. Dazu gehört alleine schon der Zustieg durch die Steilflanke und wie der Weg plötzlich um einen Rank herum in flaches Gelände mündet. Von dieser Terrasse dann die traumhafte Aussicht über den Urnersee ins Reusstal und die zu beiden Seiten wild und steil aufragenden Berge. Im Rücken der an den Hang gebauten Alphütte beherrscht die mehrheitlich felsige Ostflanke des Niderbauen die Szenerie. Ablagerungen in Form von grossen Gesteinsbrocken und Schotterhalden zeugen von mehreren Bergstürzen. Mitten hindurch und vor allem hinauf führt ein Abenteuerpfad in weiss-blau-weiss. Stahlstifte, Stahltreppen, Stahlleitern, Stahlseile. Heavy Metal also und nach schweisstreibenden Kehren im lotrechten Couloirambiente die Belohnung 10 Meter vom Weg entfernt.


10. Juli 2015

Thun zu heiss

Keine Stadtwanderung diese Woche. Das Projekt Thun total schmort in der brutalen Hitze der vergangenen Tage. Eine Magen-Darm-Geschichte legte mich zudem ins Bett. War's des Wassers wegen, das ich am Samstag von einem Viehbrunnen in den Nidwaldner Alpen trank? Oder bloss der Hitze wegen, der ich grundsätzlich eher abgeneigt bin? Wir werden es nie erfahren. Fakt bleibt indes, dass dieser Sommer so ziemlich das Gegenteil desjenigen von 2014 darstellt, der als bislang feuchtester seit Messbeginn in die Annalen der Meteorologen einging. 

9. Juli 2015

Mit Nebengeräuschen von Nord nach Süd

Wolfgang Lührs: Vom Wispern der Wälder
und vom Wesen des Wanderns,
Verlag
die Werkstatt, Göttingen, 2011
Besonders abwechslungsreich ist der Rennsteig nicht, denn man geht grösstenteils durch Wald, ohne den Blick in die Ferne richten zu können. Aber nach so vielen Tagen in der Natur schärft sich der Blick fürs Detail. Man nimmt eher die Veränderung im Charakter des Waldes wahr: die unterschiedlichen Stimmungen von Laub- und Nadelwald, die Vielfältigkeit des Waldbodenbewuchses, die kleinen, verwunschenen Lichtungen, den schmaler werdenden Weg, der einen plötzlich tief in den Forst führt, ein Bächlein, das einen eine Weile begleitet. Und plötzlich gibt er dich wieder frei, der Wald, und lässt deine Seele wie einen Adler über das tiefe Land unter dir schweben. All das summiert sich über Zeit zu einem Einklang, bei dem es nichts mehr in Frage zu stellen gibt.

Wolfgang Lührs ging vor ein paar Jahren mit seinem Wanderkumpel knappe 1200 Kilometer durch Deutschland. Von Nord nach Süd. Von der Heide an den Fuss der Alpen. Sechs Wochen brauchten die zwei hierfür auf einer selber zusammengestellten Route. Es flossen Unmengen von Bier, kiloweise Knödel, Spätzle, Würste und dergleichen wurden verdrückt. Und einmal mehr erfährt der geneigte Leser, wie es um die Gastfreundschaft in deutschen Landen steht. Hey, wie geht es da manchmal zu und her! Sture Wirte, rechthaberische Wanderer und keiner nimmt ein Blatt vor den Mund. Eigentlich müsste der deutsche Fremdenverkehrsverband einschreiten, denn was Lührs beinahe täglich zum Besten gibt, macht wenig Lust, Deutschland als Tourist zu erkunden. Der Fairness halber muss auch das Gegenteil erwähnt werden. Es gibt in dem 336 Seiten starken Bericht auch hilfsbereite Wirte und Beherberger, doch leider bilden sie die Ausnahme. Beinahe am Schluss des Werks liest sich folgende, nicht abwegige Utopie:

Zwei Mass Bier, ein köstliches Abendbrot, eine Übernachtung in einem wunderbaren Bett und ein üppiges Frühstück für insgesamt 35 Euro. Bingo – mit diesem Preis plus fünf Euro für eine Mittagssuppe käme man mit 1.200 Euro im Monat gut zurecht und hätte noch einiges übrig, wenn man hin und wieder im Freien schläft. Lasst uns unsere Häuser verkaufen, unsere Mietverträge kündigen und zu einem Wandervolk werden. Jeder ist unterwegs. Die Bayern in Preussen und die Preussen in Bayern. In den Dörfern gibt es wieder genügend Gasthöfe und Geschäfte und an den Rändern der Autobahnen äsen Rehe und Hirsche. Man stelle sich das mal vor!

6. Juli 2015

Die Bank im Rank 29



Massiv wie der Berg, an dem diese Steinbank steht. Es ist die einzige geordnete Sitzgelegenheit am Aufstieg zum Gross Mythen. 47 Kehren zählt der beeindruckende Serpentinenweg von der Holzegg auf den knapp 1900 Meter hohen Gipfel. Die Bank befindet sich in der 29. Kehre, kurz bevor sich der Weg durch eine Felswand in der Südostflanke windet. Der Gross Mythen: Ein Must für jeden zünftigen Bergwanderer!

Und nun noch eine gute Nachricht für alle jene Mythenbezwinger, die schon länger nicht mehr oben waren. Seit vergangenem Jahr wirtet eine neue Crew im Gipfel-Restaurant. Der Vorgängerwirt, der die Wanderer und vor allem die Wanderinnen mit seinen mitunter schockierenden Sprüchen das Gipfelerlebnis vermieste, ist also nicht mehr. Er treibt nun seine Spässe oberhalb von Amden im Bergrestaurant Walau. Ein Besuch der Website gibt einen netten Einblick in das Niveau des kauzigen Gastgebers.